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PROSAISCHE POESIE

von

FERDINAND FRIEDLOS

 

"An manchen Orten heißt der Abtritt 'Gelegenheit'. Daher vielleicht der Titel Gelegenheits Gedichte."
JEAN PAUL

Orientalische Sinnlichkeit
 es sprach der schah von teheran,
 als man ihm trug den tee heran:
 ach eh ich es vergesse:
 ich hätt gern ne mätresse!
 zur not täts aber auch ne hetäre,
 wenn sie nur blond genug wäre.
 oder irgendeine konkubine:
 hauptsache eine blondine!
 
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Zotenburger Grabinschriften I
 hier ruhen zusammen hinz und kunz
 vereint in gegenseitiger missgunst
 nun müssen sie dies grab sich teilen
 man hört sie dort unten zanken zuweilen
 
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Kunstgeschichtliches
 es sagte der piccasso zu dalí
 beim gemeinsamen urlaub auf bali:
 jetzt mach doch daraus einen akt,
 und mal die schickse endlich nackt!
 
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Afrikanisches Nachtlied
 über mogadischu ist ruh`.
 in allen hütten riechest du
 kaum einen rauch.
 die schimpansen schnarchen im walde.
 warte nur, balde
 schnarchest du auch.
 
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Viertel des Lebens
im Andenken an die Abiturfeier des Leistungskurses Deutsch des 
Alexander-von-Humbug-Gymnasiums in Zotenburg am örtlichen Baggersee


 mit blonden dirnen hänget
 und voll mit bier aus dosen
 der bernd in den see.
 ihr holden schicksen,
 und trunken vom wodka
 tunkt ihr das bleiche haupt
 ins eisig-nüchterne wasser.

 weh mir, wo nehm ich, wenn
 es morgen wird, die kleider, und wo
 den horst beinstein,
 und den rest der freundesherde.
 die flaschen stehn
 sprachlos und leer, selbst rosalinde
 hat eine fahne.
 
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Zotenburger Grabinschriften II
 hier ruht der vorsichtige leander
 zeitlebens war er versicherungsbeamter
 stets hat das risiko er minimiert
 das restrisiko hat ihn dann eliminiert
 
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Zotenburger Grabinschriften III
 hier ruht der liebe, brave herr walther
 er verstarb genau im richtgen alter.
 viel länger hätt ihn keiner hier ertragen
 hört man die leute heute noch klagen.
 
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Physikalisches
 es heißt in einsteins diele
 stand das erste perpetuum mobile.
 dies wird auch von heisenberg bezeugt,
 der das gerät einst neidisch beäugt.
 doch ist es dann im nachlass verschwunden,
 was die physiker haben bis heut` nicht verwunden.
 
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Anachronismus
belauscht während einer After Work-Party der Kulturredaktion der >Zeit<

 einst stand der philosoph hegel
 am berliner flughafen tegel.

 ich glaube wohl sie spinnen!
 das kann doch nicht stimmen!
 wie hätt er denn über die berliner mauer kommen wollen,
 ohne den ethischen impetus des kantianischen sollens.
 
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Zotenburger Grabinschriften IV
 hier ruht der trinkfeste peter
 seine frau folgte ihm wenig später.
 sie haben sich beide tot gesoffen
 und sich dann hier auf ein bier getroffen.
 
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Ontologie
 der punkt ist
 ich aber bin
 das wird es sein
 sokrates war sterblich
 
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Arglosigkeit
 jan-torben war voller moralischer entrüstung,
 als man ihn warf über die balkonbrüstung.
 dabei hatte er nur nach der herrentoilette gefragt,
 auf dem genderisten-jahreskongress ganz unverzagt.
 
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Das Prinzip Hoffnung
  es stehen die schönen und reichen marxisten
  sinnlos rum auf den grünen hängen und pisten.
  auf schnee und sozialismus warten sie vergeblich.
  nächstes jahr kommt wohl beides angeblich
 
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Zotenburger Grabinschriften V
 der karl hier war ein schmutzger bube,
 nun liegt er sauber in der grube.
 es schweigt sein hämisch-böses lachen
 beredt jetzt unter dem boden der tatsachen.
 
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Diskriminierung
 es heißt das hungrige raben
 verschmähen selbst keinen toten schwaben.
 wie anders wir menschen uns da betragen,
 die auch keinen lebenden ertragen.
 
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Zotenburger Grabinschriften VI
 hier ruht nun friedlich, es sei gedankt,
 mein weib, welches oft mit mir hat gezankt.
 lauf lieber rasch fort von hier
 sonst fängt sie an und zankt mit dir.
 
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Nestwärme
 man lebt ganz gut in dinkelsbühl.
 doch sind die abende recht kühl.
 drum wird allabendlich ne hex verbrannt,
 denn die menschliche wärme - die entspannt.
 
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Zotenburger Grabinschriften VII
 hier liegt der unbeständige cohn
 sein leben war ein einziger hohn
 es gab darin keine konstanten
 nun trauern um ihn cohns tanten
 
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Scheidung auf österreichisch
 strychnin, strychnin,
 das kauft man günstig in wien.
 dazu ein paar gramm cadmium:
 schon fällt der lästge gatte um
 
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Zotenburger Grabinschriften VIII
 hier ruht der orientierungslose björn
 er verstarb auf einer segeltörn.
 segeln wollte er nach bali
 man fand seine leiche in mali.
 
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Zotenburger Grabinschriften IX
 hier liegen vom alten, blassen jochen
 seine müden und bleichen knochen.
 seine witwe hört man jubilieren,
 denn es sind ja nicht die ihren.
 
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Bitter im Abgang
 als sie den günter morgens hängten
 und die leut sich um den galgen drängten
 da ließ er noch einen fahren
 um einen bleibenden eindruck zu bewahren.
 
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Hilfsbereitschaft
 sie hängten den günter schon am morgen
 den strick musst sich der henker borgen
 die leute haben ihn gern gegeben
 ging es doch um günters leben

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Zotenburger Grabinschriften X
 hier ruht der wortgewandte paul.
 die erde stopft ihm nun das maul.
 für sein leben gern drosch er phrasen,
 jetzt liegt er wortkarg unterm rasen.
 
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Erzählung vom Pferd
 so finster die stunde,
 so bitter die kunde:
 verdüstert ist das gemüt,
 kommt der pferdemetzger ins gestüt.
 doch gleitet auf dem pferdeapfel aus der blutge henker,
 dankt es die wiehernde pferdeschar dem weltenlenker.
 
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Zotenburger Grabinschriften XI
 hier ruht müllers lieschen
 tief unter den radieschen.
 der hannes hat ihr das herz gebrochen
 als sie ihn ertappte mit dem jochen
 
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Zotenburger Grabinschriften XII
 hier liegt der brave neander
 er war verwaltungsbeamter.
 nun hat er getauscht die amtsstube
 mit dieser nicht minder ruhigen grube.
 
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Entdeckerfreuden
 man muss oft hören von dummen toren,
 die sich werktags in den ohren bohren.
 doch hat man bisher nicht vernommen,
 dass einer bis zum hirn ist durchgekommen.
 
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Zotenburger Grabinschriftenen xiii
 beim duschen war der horst hier ausgeglitten
 und hat danach an genickbruch gelitten.
 zu viel reinlichkeit ist ungesund,
 tat abschließend der leichenbeschauer kund.

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Zotenburger Grabinschriften XIV
 der hans hier wollt werden drachentöter.
 gereicht hats nur zum schwerenöter.
 so mancher frau hat er ruchlos das herz gebrochen.
 die letzte hat ihm das seine mit ner scher durchstochen.
 
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Ostpreußisches Symposion
 es kommen kant und klopse aus königsberg -
 ein geistiger riese und ein kulinarischer zwerg.
 der riese sucht die grenzen der vernunft zu erhellen,
 der zwerg hingegen zu vereinen kapern und sardellen.
 wir wünschen beiden viel glück bei ihrem bemühen,
 während wir uns den nötigen verdauungstee aufbrühen
 
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Zotenburger Grabinschriften XV
 hier liegt der lange uwe
 in einer viel zu kurzen grube.
 man musst ihn in der mitte falten.
 dafür durft er den hut aufbehalten

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Zotenburger Grabinschriften XVI
  hier ruht mein werter gatte,
  der wenig freude an mir hatte.
  das leben durft ich ihm mit aller macht vermiesen.
  dafür muss ich nun die begonien auf dem grabe gießen.
 
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Beschildertes Weltenende
 dies ist das ende
 vom abschüssigen gelände.
 danach beginnt der freie fall,
 ins unbegrenzte weltenall.

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Zotenburger Grabinschriften XVII
 hier ruht die nette, liebe inge
 die verstarb unverrichteter dinge.
 ihren mann wollt aus dem eigenheim sie ekeln.
 der darf sich nun allein im doppelbette räkeln.

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Zotenburger Grabinschriften XVIII
 hier liegt die liebe, nette melanie
 sie war in der küche ein wahres genie.
 stets hat nach knoblauch sie gerochen.
 drum hat ihr gatte sie erstochen.
 
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Ikarus
 so eine fliege wirkt recht abgehoben,
 kommt sie durch die lüfte angeflogen.
 doch trifft sie auf die windschutzscheibe,
 so tut sie einem doch auch leide.

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Zotenburger Grabinschriften XIX
 hier ruht die schusselige susanne
 sie verstarb in ihrer badewanne.
 sie hatte verwechselt wein und shampoo.
 ihre haare rochen stark nach bordeaux.
 
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Zotenburger Grabinschriften XX
 hier liegt der arme willibald
 dank seines mäkligen weibs wurd er nicht alt.
 sie hat ihn in den tod getrieben
 ihr ist die lebensversicherung verblieben.
 
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Letze Worte auf dem Schafott
  haben sie noch etwas zu sagen,
  bevor es ihnen geht an den kragen?
 
  nun, die unterbringung, die war ziemlich schlecht.
  und die matratze, die war mir so nicht recht.
  das frühstück war hundsmiserabel
  und für den koch eher blamabel.
  kurz: ich kann es ihnen nicht verhehlen,
  ihre einrichtung werd ich nicht weiterempfehlen.
 
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Zotenburger Grabinschriften XXI
 hier ruht der aufgeweckte gunther
 der war bis zuletzt recht munter.
 er hatte den galgenhumor erfunden
 wie es die gerichtsakten bekunden

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Zotenburger Grabinschriften XXII
 hier ruht der haarige hans mayer
 er verstarb im fernen himalaya
 man hatte in ihm den yeti erkannt
 und ihm eins auf den pelz gebrannt

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Klageruf des alten Libertin
 wohin nur ist entfleucht meine jugend?
 sie ging wohl flöten mit meiner tugend.
 jetzt spielt die lust die erste geige,
 bis zur allerletzten bitteren neige.

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Zotenburger Grabinschriften XXIII
 hier ruht die liebe elke
 die alte, graue, welke.
 einstmals war sie blond gewesen
 als luther anschlug seine thesen.

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Zotenburger Grabinschriften XXIV
 hier ruht nun vielbeachtet der pfarrer krautlein
 der war so hoch angesehen im kirchenverein
 einstmals war er katholisch gewesen
 nun wird er wie sein glaube verwesen
 
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Zotenburger Grabinschriften XXV
 hier ruht brav im beschaulichen halberstadt
 der alte wendelin, vom leben gänzlich satt.
 man wollt ihn erst im mondänen gotha begraben
 dort fordert man recht hohe bestattungsabgaben.

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Zotenburger Grabinschriften XXVI
 vor meiner guten hilde hab ich nun ruh
 sie liegt hier in einer hölzernen truh
 all ihre bosheit verflog wie der rauch
 all ihre häme vergess ich bald auch.

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Zotenburger Grabinschriften XXVII
 hier ruht nun unser pastoralreferent
 auch er mußt einmal kommen zum end
 rund um die uhr konnt er haltung zeigen
 und dazu eigentümliche phrasen geigen

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Dichterische Impotenz
 die zeit surrt hinein in die stille
 der nebel schlägt mir auf die brille
 
 mehr kommt bei dem gedicht nicht heraus
 mit meiner schaffenskraft ist es wohl aus
 
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Zotenburger Grabinschriften XXVIII
 hier ruht nun die liebe kunigunde
 die machte im ganzen dorf die runde
 alle männer wußten sie zu schätzen
 während die frauen gegen sie hetzten
 
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Zotenburger Grabinschriften XXIX
 meine brave frau, die gute edeltraud
 hab ich hier in das grabmal eingebaut
 sie hatte ein ausgesprochen sprödes wesen
 und selbst ihr humor wäre trocken gewesen

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Hilfeschrei
Hochdeutsche Fassung eines überlieferten Liedes
des Bochumer Minnesängers Herbert der Nuschler


 fühl mich leer und verbraucht
 alles kaputt
 hab handwerker in meinem haus

 kann mich nicht mehr setzen
 kann auch nirgends stehen
 denen gelingt auch nichts

 gib mir mein haus zurück!
 ich brauch meinen wohnraum doch!
 gib mir mein haus zurück!
 bevor es auseinanderbricht!
 
 und je später, je später du es tust
 desto teurer, desto teurer wirds für mich
 
 gib mir mein haus zurück!
 
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Zotenburger Grabinschriften XXX 
 hier liegt der vielgereiste fabian
 der war von dieser welt recht angetan.
 stets zog es ihn hinaus in die ferne
 dann verscharrte man ihn hier in herne
 
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 Ode an einen toten Philodendron
 dein blatt das leuchtete lindgrün
 dein wuchs schien stark und kühn
 nun dorrst du in der ecke ganz verdrossen
 ach weh! hätt ich dich doch nur gegossen!
 
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Anmerkung:
Der unter der Rubrik "Aus dem FF" veröffentlichte Teil meiner Webseite ist literarisch-künstlerischer Natur. Die enthaltenen Erzählungen und Berichte sind rein fiktional.
Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

"Man läßt also die ganze Sach an und vor sich selbst dahin gestellet sein, und solle sich ein oder der andere darinnen beleidiget finden, so muß man wissen, daß nicht dieses Buch, sondern seine eigne begangene Fehler daran schuldig sind. Ist also ein solches Buch gleich einem Maler, welcher mit einer Kohle ein Gesicht an die Wand malet, es kommt aber ungefähr ein Fremder dahin, dem dasselbe Gesicht naturel gleich siehet, da weiß jedermann, daß der Maler deswegen nicht die Ursach des Conterfeyes, sondern derjenige selbsten sei, der dem Gesicht gleich siehet."
JOHANN BEER

"AN DIE LESER:
 Sind dir, Leser, meine Sachen mißgefällig wo gewesen,
 Kannstu sie am besten strafen mit dem sauren Nimmerlesen."

FRIEDRICH von LOGAU