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"Ein Schriftsteller ist ein Mensch, dessen Sprache der Welt entsagt hat, dessen Person in ihren Netzen verstrickt bleibt."
HEIMITO von DODERER
"Im Anfang war das Wort. Wir kommen von dort und gehen dorthin."
HEIMITO von DODERER
ARCHIV DES DICHTERISCHEN NACHLASSES DES FERDINAND FRIEDLOS
"Man sollte überhaupt die meisten totschiessen in der schönen Jugend, ausgenommen die wenigen Männer, die genial wären und die wenigen Frauen, die sanft wären."
JEAN PAUL
"Oh, der arme Mensch steht allemal mit zugebundenen Augen vor deinem scharfen Schwerte, unbegreifliches Schicksal!"
JEAN PAUL
“Ferdinand Friedlos” ist das dichterische Pseudonym des Büroangestellten Ernst Teslebens, der - zuständig für die Kundendatei vom Buchstaben ‘K’ bis ‘M’ und mit dem Ausblick, demnächst auch den Buchstaben ‘N’ übernehmen zu dürfen - vor einigen Jahren an seinem Arbeitsplatz in der Halsapp & Schneider AG (dem Weltmarktführer im Vertrieb von Schmonzes und Tinnef aller nur erdenklichen Art) im mumifizierten Zustand von seinen erschrockenen Arbeitskollegen aufgefunden wurde. Es stellte sich heraus, dass der Hausmeister vergessen hatte, am Montagmorgen den Raumbefeuchter wieder einzuschalten, woraufhin Teslebens sich binnen weniger Stunden in ein vertrocknetes Blatt verwandelte. Jegliche Wiederbefeuchtungsversuche durch die Kollegen, dem herbeigeeilten Notarzt und einem zufällig anwesenden Zimmerpflanzengärtner blieben ohne Erfolg, so dass an jenem tragischen Montag ein bis dato unbekanntes Dichtergenie vom Formate Kafkas auf das Format eines nur noch raschelnden und rasch zerfallenden Blattes reduziert wurde. Bei aller Tragik ist das Ende Teslebens - typisch für diesen von skurrilen Unglücken verfolgten, still leidenden Menschen - nicht ohne doppeltes ironisches Moment, hatte Teslebens zum einen sich und die moderne Menschheit - wie viele Dichter neigte er dazu, beides gleich zu setzen - doch stets als Opfer der in seinen Augen übermächtig gewordenen Technik betrachtet und war Teslebens doch zum anderen von abgrundtiefem Misstrauen gegen die Berufsgruppe der Hausmeister durchdrungen - in seinen Augen nur emsig-bösartige und besenbewehrte, stets rücksichtslos das dürre Laub wegfegende, subordinierte Handlanger der teuflischen Technik. Nun wirkten also beide, die Technik und ihr alltägliches menschliches Werkzeug, der Hausmeister, zusammen, um Teslebens, den fast schon nervigen Mahner gegen beide Übel, den Garaus zu machen.
Nachdem man den welk raschelnden Teslebens im Beisein des beängstigend engen Familienkreises auf den herbstlichen Friedhof abgesetzt hatte, wo er unter all den welken, windverwehten Blättern nicht weiter auffiel (“Vom Leben vergessen zu werden ist eine Gnade,” soll Teslebens immer gesagt haben), entdeckte der eingesetzte Nachlassverwalter in der nun verwaisten, in der Hans-Dampf-Gasse des idyllischen fränkischen Städtchens Zotenburg gelegenen 2,5-Zimmerwohnung umfangreiche Manuskripte, die Teslebens unter dem Pseudonym “Ferdinand Friedlos” verfasst hatte. Wie sich später herausstellte, wählte Teslebens dieses anonyme Schriftstellerdasein, um seine autoritäre Erbtante Gisela Teslebens nicht zu verärgern, die in jungen Jahren von dem bekannten Dichterfürsten Reiner Maria Blanckhohn durch dessen zarte Verse verführt und anschließend sitzengelassen wurde und die seither einen geradezu fanatischen Hass auf alle Dichtkunst hegte. Das einzige Buch in ihrem Haushalt soll das Telefonbuch gewesen sein und selbst dieses benutzte sie nur mit größtem Widerwillen, was sich fatal auswirken sollte, als eines Nachts ein Raubmörder in ihre Wohnung eindrang und sie sich nicht entschließen konnte, die Notrufnummer der örtlichen Polizei nachzuschlagen. Teslebens, der wegen einer Lücke in seinem Rentenplan auf das freilich kleine Erbe seiner Tante angewiesen war, sah sich daher gezwungen, mit der Veröffentlichung seiner Werke bis nach deren Ableben zu warten, konnte diesen Plan aber wegen des oben geschilderten tragischen technischen Fehlers nicht mehr ausführen - die Pläne Teslebens wurden im Übrigen nur in den seltensten Fällen ausgeführt und wenn, dann nur zum Schaden ihres Urhebers, auf welchen sie dann laut krachend zurückzufallen pflegten. Der Nachlassverwalter - ein abgebrochener Germanistikstudent - erkannte jedoch schon beim ersten Durchblättern der Teslebenschen Manuskripte deren überwältigenden literarischen Rang und übergab diese der begeisterten geisteswissenschaftlichen Fakultät (“Daher also der Name!” hätte Teslebens / Friedlos freudig-erstaunt ausgerufen) der Universität Zotenburg, an der auch Teslebens selber bei dem bedeutenden Philosophen Leo Flappsiger seine Studien absolviert hatte. Beauftragt mit dem Redigieren und Publizieren des Fundes, der neben Gedichten und Aphorismen, einem Gesellschaftsroman über eine Mittelschichtsfamilie im Wuppertal der 1970er und 1980er Jahre ("Der Papst kam nur bis Düsseldorf. Die Geschichte der Familie Lindemann") sowie einem unter den Pseudonym “Agnesia Achwemir” verfassten Frauenroman (“Seerosen haben keine Dornen”) auch ein alternatives Libretto zu Alwin Schmockbergs bekannter Skandaloper “Der Zahnstocher” (geschrieben für die Treppe hinunterfallendes Orchester) umfasst, wurde der ewige Privatdozent Matthaeus Artolaganus, der bisher weniger durch wissenschaftliche Leistung geglänzt hatte, sondern den Germanistenkollegen eher durch das ständige Reden über die Fortschritte an seiner Richard Wagner-Novelle (Arbeitstitel: “Die Bayreuther Schickse”), an der er seit über zwölf Jahren schrieb, auf die Nerven ging. Gezwungenermaßen wählte der wenig zahlenaffine Artolaganus, der sich in der Höhe des ihm zugeteilten Forschungsbudgets verlesen hatte und der deshalb in der ersten, euphorischen Freude über diese neue akademische Chance bereits einen Großteil eben dieses Budgets versoffen hatte, das Internet als kostengünstige Publikationsform für das Friedlossche Oeuvre.
Im Folgenden sind nun die bisher bearbeiteten Funde aus dem Friedlos-Archiv der Öffentlichkeit preisgegeben, jener Öffentlichkeit, die Teslebens / Friedlos stets zu meiden suchte, die aber bekanntlich noch jeden eingeholt hat.
Friedlos über Friedlos:
Die Leute sagen, ich wäre ein Heinz Erhardt, gefangen im Körper eines George Clooney. Ich denke aber, es ist eher umgekehrt.
Rückblickend betrachtet, haben sich in meinem Leben Pech und Unglück stets die Waage gehalten.
Ich ahnte stets die Gefahr, dass ich zu weit gehen würde, weshalb ich einfach sitzen blieb.
Es scheint, dass ich das einzige lebende Individuum bin, welches es vermag, zugleich im Gedanken und in Zotenburg zu sein.
Ich habe keine Vorschläge gemacht. Ihr hättet sie ohnehin nicht angenommen.
Zu meinem Unglück hinderten mich zeitlebens Rückstände von Anstand daran, die erwünschten Haltungen zu zeigen.
Ich hoffe für mich, dass das Jüngste Gericht dereinst ärztliche Atteste akzeptieren wird.
In meiner Jugend erstrebte ich die Erkenntnis dieser Welt. Heute wünschte ich, ich wäre daran gescheitert.
Anders als für die strebsamen und praktisch veranlagten Menschen in meiner Umgebung, war für mich der einzig gangbare Weg, meine Persönlichkeit zu erweitern, der Weg in die Küche.
Ich vermochte es nie, den Nagel auf den Kopf zu treffen, habe aber bei dem Versuch so manche die Sicht versperrende Wand eingerissen.
Etwas in mir stachelt die den Menschen innewohnende Unverschämtheit an. Ich scheine wie ein Zerrspiegel zu wirken, in welchem die Menschen zu ihrem Schrecken für einen Moment ihre wirkliche Fratze erblicken.
Die Menschen erschienen mir einst erträglicher, als sie lediglich dann Zeichen zu setzen suchten, während sie in einer öffentlichen Toilette die Wände mit obszönen Sprüchen bekritzelten.
Was in meinem Leben stets gefehlt hat, war die Frau, die all die Fettnäpfchen hätte wegräumen können, bevor ich in sie hineintrat.
Dass ich nie in meinem Leben auf einen Seelenverwandten unter den Menschen gestoßen bin, spricht eigentlich für die Menschheit.
Ich hatte niemals in meinem Leben schlechte Laune, sondern lediglich einen konstant finster gestimmten Charakter.
Die Menschen waren mir nie ein Rätsel, sondern immer nur ein Ärgernis.
Ich traue immer noch keinem über dreißig, lache aber inzwischen regelmäßig über diejenigen, die noch unter dreißig sind.
Dass ich die Vergangenheit niemals ruhen lassen konnte, half mir, die Angst vor der Zukunft zu ertragen.
Man lebt nur einmal, heißt es. Ich fand diesen Gedanken immer sehr trostreich.
Mein Leben war immer schon eine verfahrene Situation. Aber nur so lernt man die Gegend kennen.
Ich setzte mir immer nur sehr bescheidene Ziele, so dass die Enttäuschung gering war, als ich sie nicht erreichte.
In dem angenehm kühlenden Schatten großer Geister zu ruhen und dabei die vorbeiziehenden Menschen zu beobachten, war immer mein Lebensideal.
Die Bücher waren mir immer näher als die Menschen, worüber die Menschen stets recht froh schienen.
Den Glauben an Gott habe ich - Gott sei es gedankt - wiedergefunden. Manchmal beschleicht mich jedoch der Gedanke, Gott habe den Glauben an mich verloren.
Meinen Kontostand fand ich im Großen und Ganzen immer akzeptabel. Zumindest, wenn man ihn in Relation zu der unendlichen Negativität des Seins stellt.
Die Philosophie spendete mir niemals Trost, war mir aber immer eine nie versiegende und stets erfrischende Quelle der Häme.
Ich erinnere mich immer noch an das Glücksgefühl, welches mich überkam, als ich eines Morgens im Bad gerade noch rechtzeitig bemerkte, dass ich die Zahnpasta mit der Hämorrhoidensalbe verwechselt hatte.
Ich wollte eigentlich immer einen Beruf ergreifen, in welchem man mit Menschen arbeiten kann. Zu meinem Unglück wird jedoch hierzulande das Scharfrichteramt seit geraumer Zeit nicht mehr besetzt.
Die Tatsache, dass ich mir immer selber im Wege stand, hat mich glücklicherweise davor bewahrt, noch größere Schandtaten auf mich zu laden.
Als man mich lehrte, dass nur der frühe Vogel den Wurm fängt, überkam mich ein tiefes Bedauern für den Vogel, der gezwungen schien, eklige Würmer zu fressen und hierfür auch noch mit Schlafmangel bezahlen musste.
Ich habe niemals meinen Kopf in den Sand gesteckt. Das soll doch bitte der Totengräber dereinst für mich erledigen.
Wie Kafka und Cioran kann ich nachts nicht schlafen, doch kommen bei mir in der Dunkelheit und Stille nur die Flausen aus der Tiefe meines Kopfes hervor, welche ich dann mit großer Mühe wieder einfangen muss.
Bei dem einzigen Anlauf, den ich unternommen hatte, alle Brücken hinter mir abzubrennen, brannte die ganze Stadt bis auf die Grundmauern nieder.
Meine Mutter hatte mich in meiner Kindheit versehentlich zusammen mit dem Bade ausgeschüttet, wobei ich unglücklicherweise in den Brunnen fiel.
Anders als den Leuten in meiner Umgebung gelang es mir niemals, mich selber zu finden. Ich ahne jedoch mehr und mehr, dass ich dadurch nichts verpasst habe.
Ich hatte einen Traum, einen grünen Traum. Mir träumte, man würde eines Abends in den Nachrichten vermelden, ein ehemals hochrangiger Politiker aus Hamburg halte jetzt für teures Geld eine an Mandatsträger, Manager und sonstige schwer durch Erlebtes und Durchlittenes traumatisierte Leistungsträger gerichtete Vortragsreihe über effektive und effiziente Techniken des Vergessens und Verdrängens ab, wobei er seine plötzlich wieder aufgefundenen Terminkalender als Anschauungsmaterial verwendet. Im Preis inbegriffen ist ein den Zuhörern nach dem Vortrag auszuhändigender grüner Karton mit sechs Flaschen edlem Absinth, deren Konsum im Bedarfsfall die eigenen Erinnerungen löscht, wie ein Magnet eine Festplatte. Man dürfe hoffen, so abschließend die Nachrichtensprecherin im empathischen Tonfall, dass durch diese Vorträge und der nunmehr einsetzenden Welle des Absinthkonsums eine neue Kultur des Vergessens und Vergebens in Deutschland Einzug halte, in welcher unsere Eliten nicht mehr beständig befürchten müssen, mit haßerfüllten Vorhaltungen und bösartigen Vorwürfen konfrontiert zu werden, so dass sie sich von nun an ungehindert und mit vollem Elan der Arbeit für dieses unser Land widmen können. Als wichtige rechtliche Rahmenbedingung entfällt nach einer Eilsitzung des Bundestages ab sofort die Mehrwertsteuer auf Absinth.
Auch wenn ich an dem Schalk in meinem Nacken oft schwer zu tragen habe, so ist er mir doch immer ein treuer und guter Kumpan.
Zu meiner Überraschung wurde ich eines Tages von dem mir persönlich völlig unbekannten einzigen Zotenburger Psychotherapeuten zur Einweihungsparty seines neuen luxuriösen Penthouse eingeladen. Wie er mir gleich bei meiner Ankunft eröffnete, hatten die Frauen, mit welchen ich (in der Regel nur ein einziges Mal) ausgegangen war, mit ihren Behandlungsgebühren den Löwenanteil der Immobilie finanziert.
"Erzürne nicht, setze dich ans Ufer des ruhigen Flusses und warte, bis die Leichen deiner Feinde vorbeitreiben", rät ein altes chinesisches Sprichwort, an welches ich denken musste, als ich eines Tages beim Baden im Main von der Strömung davongerissen wurde und dann nach einer Weile an einer fröhlichen Strandparty meiner engsten Feinde vorbeitrieb.
Ich vermute, dass der Leichenbestatter dereinst meine Chuzpe mit der stumpfen Kante einer Axt gesondert totschlagen muss, bevor er den Sargdeckel zuschraubt, da sonst die Gefahr bestehen würde, dass ich den Pfaffen bei der Beerdigung aus dem Konzept bringe. Denn: "Wann er ist wunderlich gewesen in seinem Leben, wunderlich will er auch sein in seinem Tod" (Volksbuch vom Tyl Ulenspiegel).
Es widerfährt mir immer wieder im Leben, dass ich unvermittelt einem jener Menschen im Wege stehe, die etwas bewegen wollen. Selbstredend trete ich in solchen Fällen immer höflich und rücksichtsvoll beiseite, um dann von dort aus das anlaufende Projekt madig zu machen.
Ich habe meine Zeit stets mit Haarspaltereien vertan, was mich aber davor bewahrte, Schädel zu spalten.
Nach Erhalt meines letzten Steuerbescheids wollte ich die Sachbearbeiterin wegen Raubes zur Anzeige bringen, aber der Polizist belehrte mich dahingehend, dass Finanzbeamte weltweit rechtliche Immunität genießen, die ausschließlich der Papst in seltenen Ausnahmefällen aufzuheben vermag.
Mir läßt die Frage einfach keine Ruhe, ob das Wort 'Vogel' den geflügelten Worten zuzurechnen ist.
Ich vermag mit Worten nicht zum Ausdruck zu bringen, wie viel ich meinem Deutschlehrer in meinem Leben zu verdanken habe. Günter der Schmierige schenkte mir durch sein Reden und Handeln tiefe Einblicke in die Widerwärtigkeit der menschlichen Gattung, welche sich später über ihren pensionsberechtigten Teil hinaus als anwendbar erwiesen. Darüberhinaus entdeckte ich durch die Beobachtung seiner alltäglichen Praxis das für das soziologische Verständnis der modernen Gesellschaft grundlegende Prinzip der dreifachen Entkoppelung von Leistung und Einkommen, von akademischen Abschlüssen und Intelligenz und von Charakter und hehren Phrasen. Und vor allen Dingen öffnete er meine Augen für den staunenswerten und kreativen Formenreichtum, den die legalistische Sublimierung der dunklen Triebe eines durch seine öde, überflüssige Existenz narzisstisch gekränkten und zugleich ängstlich sadistischen kleinen Beamten erlangen kann, der seine Pensionsberechtigung nicht gefährden möchte. Nie wieder ist mir im späteren Leben eine Gestalt begegnet, die den Begriff des Abschaums in solcher Reinheit und Idealität verkörperte.
Wenn ich auf einen Arzt treffe, der sich sichtlich für meinen Gesundheitszustand zu interessieren scheint, so verlasse ich seine Praxis fluchtartig, da ich davon ausgehe, dass er mit einem Organhändlerring zusammenarbeitet.
Mein Leben lang stochere ich im Nebel. Ab und an vernehme ich die Wehklagen derer, auf deren Auge ich gestoßen bin.
Ich vermute inzwischen, dass meine Beziehungen immer daran scheitern, dass ich stets aus den Pralinenmischungen die von mir präferierten Varianten herausfische, bevor ich die Packungen den Frauen überreiche.
Meine Zeit bei der Fremdenlegion endete recht abrupt, da ich allgemein als zu befremdlich erschien.
Immer, wenn ich denke, ich hätte den Tiefpunkt meines Lebens erreicht, überrasche ich mich selber durch meine Steigerungsfähigkeit.
Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass Groucho Marx der tiefer blickende Philosoph war, sein Bruder Karl hingegen der größere Komiker.
Ich war niemals einer von den aufrechten und angesehenen Katholiken, erwies mich jedoch über die Jahre als ein treuer Katholik. Treue Katholiken harren, anders als die aufrechten und angesehenen, unter dem Kreuz aus, zu dem sie gekrochen sind.
Mein freudloses Ausprobieren der Psychoanalyse endete damit, dass mein Analytiker Asyl in Nordkorea beantragte.
Ich habe mir in meinem Leben so manches hinter die Ohren geschrieben. Aber leider kann ich es dort so schlecht ablesen.
Wenn ich mir eine Theaterrolle aussuchen dürfte, so schwankte ich zwischen dem Yorick im "Hamlet" oder der Titelrolle in Becketts "Warten auf Godot".
Ich bin hinabgestiegen in das Reich der Phrase, um den sinn- und aussichtslosen Partisanenkampf mit dessen Heerscharen aufzunehmen.
Ich vermute inzwischen, dass ich im Büro lediglich dekorativen Zwecken gewidmet bin; sozusagen ein Philodendron auf zwei Beinen.
Mir ist das Problem des sich in meiner Küche zunehmend stapelnden Geschirrs durchaus bewußt. Aber dennoch strebe ich eine gesamteuropäische Lösung an.
Mein Gehalt reicht nie bis zum Monatsende, weshalb ich schon lange für eine Kalenderreform eintrete.
Ich vermute, dass Angestellte auch nur Menschen sind, aber bislang konnte ich diese Hypothese nicht verifizieren.
Ich fungierte im Leben häufig als der Tropfen, der dem Fass die Krone ins Gesicht schlug.
Meine langjährige Überzeugung, dass nur die Guten jung sterben, läßt mit zunehmendem Alter meine Selbstzweifel anwachsen.
Unter den einäugigen Hühnern war ich stets das blinde, dem aber immer schon bewußt war, dass die Körner weit überschätzt werden.
Mein Glück war, dass ich in ein Zeitalter hineingeboren wurde, in dem Defätismus keinen Straftatbestand darstellte. Diese historische Glückssträhne neigt sich nun dem Ende zu.
Mein ganzes Leben lang löckte ich wider den Stachel, bis dessen Spitze abbrach und seitdem tief und inoperabel in meinem Fleische steckt.
Ich pfeife schon seit längerem aus dem letzten Loch, aber noch klingt die Melodie ganz gut.
Ich zog stets verdientermaßen die ehrliche Empörung aller Heuchler auf mich.
- Nachruf auf eine deutsche Geistesgröße
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Anmerkung:
Der unter der Rubrik "Aus dem FF" veröffentlichte Teil meiner Webseite ist literarisch-künstlerischer Natur. Die enthaltenen Erzählungen und Berichte sind rein fiktional.
Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
"Man läßt also die ganze Sach an und vor sich selbst dahin gestellet sein, und solle sich ein oder der andere darinnen beleidiget finden, so muß man wissen, daß nicht dieses Buch, sondern seine eigne begangene Fehler daran schuldig sind. Ist also ein solches Buch gleich einem Maler, welcher mit einer Kohle ein Gesicht an die Wand malet, es kommt aber ungefähr ein Fremder dahin, dem dasselbe Gesicht naturel gleich siehet, da weiß jedermann, daß der Maler deswegen nicht die Ursach des Conterfeyes, sondern derjenige selbsten sei, der dem Gesicht gleich siehet."
JOHANN BEER
"AN DIE LESER:
Sind dir, Leser, meine Sachen mißgefällig wo gewesen,
Kannstu sie am besten strafen mit dem sauren Nimmerlesen."
FRIEDRICH von LOGAU